ANDERE GEDICHTE:
Ein Punkt () vor
einem Gedicht bedeutet, daß dieses Gedicht eines meiner
Favoriten ist. Leider ist diese Anschauung sehr subjektiv und
kann deshalb nicht auf jeden Beliebigen übertragen werden...
Ich empfehle, die "zurück nach oben"-Links zu benutzen, da die Gedichte nicht in der Reihenfolge wie in der Tabelle angeordnet sind!!
Einer
nimmt uns das Denken ab
Es genügt seine Schriften zu lesen
und manchmal dabei zu nicken
Einer
nimmt uns das Fühlen ab
Seine Gedichte erhalten Preise
und werden häufig zitiert
Einer
nimmt uns die großen Entscheidungen
ab
über Krieg
und Frieden
Wir wählen ihn immer wieder
Wir
müssen nur
auf zehn bis zwölf Namen schwören
Das ganze Leben nehmen sie uns dann ab
[Erich Fried]
Was
keiner geglaubt haben wird
was keiner gewußt haben konnte
was keiner geahnt haben durfte
das wird dann wieder
das gewesen sein
was keiner gewollt haben wollte
[Erich Fried]
Da
habe ich einen gehört
wie er seufzte: "Du liebe Zeit!"
Was
heißt da "Du liebe Zeit"?
"Du unliebe Zeit", muß es heißen
"Du
ungeliebte Zeit!"
von dieser Unzeit, in der wir
leben
müssen. Und doch
Sie ist unsere einzige Zeit
Unsere
Lebenszeit
Und wenn wir
das Leben lieben
können
wir nicht ganz lieblos
gegen diese unsere Zeit sein
Wir
müssen sie ja nicht genau so
lassen, wie sie uns traf
[Erich Fried]
Wie
groß ist dein Leben?
Wie tief?
Was kostet es dich?
Bis wann zahlst du?
Wieviel Türen
hat es?
Wie oft hast du ein neues begonnen?
Warst du schon
einmal
gezwungen um es zu laufen?
Wenn ja bist du rundherum gelaufen
im Kreis oder hast du
Einbuchtungen mitgelaufen?
Was dachtest
du dir dabei?
Woran erkanntest du
daß du ganz herum warst?
Bist du
mehrmals gelaufen?
War das dritte
Mal wie das zweite?
Würdest du lieber
die Strecke im Wagen fahren?
oder gefahren werden?
in welcher
Richtung?
von wem?
[Erich Fried]
Zu
sagen
"Hier
herrscht
Freiheit"
ist immer
ein Irrtum
oder auch
eine Lüge:
Freiheit
herrscht nicht
[Erich Fried]
Die
Jungen
werfen
zum Spaß
mit Steinen
nach Fröschen
Die
Frösche
sterben
im Ernst
[Erich Fried]
zur Zeit des Wettrüstens
Wer
will
daß die Welt
so bleibt
wie sie ist
der will nicht
daß sie bleibt
[Erich Fried]
Zum
Versteinern stehen die Leute Schlange
Wer an die
Reihe kommt steigt auf das Trittbrett
Er
wirft sein Geldstück ein
und wählt Gesteinsart und Farbe
Er
selbst betätigt den Hebel
und hört noch
ein leises Zischen
Dann
wälzen ihn zwei Gehilfen
in die Allee
Oder
man stellt ihn zu Haus auf
im Kreis der
Familie
JEDER
SEIN EIGENES DENKMAL
liest man im Schlangestehen
Manche
stehen so stramm
als wäre es
gar nicht mehr nötig
[Erich Fried]
Zu
den Steinen hat einer gesagt:
seid menschlich
Die
Steine haben gesagt:
Wir sind noch nicht hart genug
[Erich Fried]
Am
Tag,
an dem ich nicht mehr zweifeln muß
an meinem
Glauben, Vorsatz und Beschluß
an dem mir
alles einfach wird und klar,
an dem ich
sicher bin und unfehlbar,
an dem ich
lächelnd alten Zweifel schlichte
und mich
gerecht weiß und voll Strenge richte den,
der nicht meine wahre Lehre ehrt -
an diesem Tag
bin ich zu sterben wert.
[Erich Fried]
Hat
es euch Herz und Augen ausgebrannt?
Sind nicht
mehr zehn Gerechte in dem Land?
Ihr seid nicht tierisch, denn so schlägt kein Tier.
Keins eurer Opfer ist so tot wie ihr.
[Erich Fried]
Der
eine sagt:
"Wie
schön
das gewesen sein muß
als wir noch
an Pest
und an Syphilis
an Scharlach
an Lungenschwindsuchtund
an Krebs
an
Herzverfettung
und Schlagfluß
verreckten wie Tiere!"
Der
andere fragt ihn:
"Sag was waren das, Tiere?
[Erich Fried]
Zweifle
nicht
an dem
der dir sagt
er hat Angst
aber
hab Angst
vor dem
der dir sagt
er kenne keine Zweifel
[Erich Fried]
Glaubst
du
du bist
noch zu klein
um grosse Fragen zu stellen?
Dann
kriegen
die Grossen
dich noch klein
bevor du gross genug bist
[Erich Fried]
Wer
von einem Gedicht
seine Rettung erwartet
der sollte lieber
lernen
Gedichte zu lesen
Wer
von einem
Gedicht
keine Rettung erwartet
der sollte lieber
lernen
Gedichte zu lesen
[Erich Fried]
Wenn
es Sinn hätte
zu leben
hätte es Sinn
zu leben
Wenn
es Sinn hätte
noch zu hoffen
hätte es Sinn
noch zu hoffen
Wenn
es Sinn hätte
sterben zu wollen
hätte es Sinn
sterben zu wollen
Fast
alles hätte Sinn
wenn es Sinn hätte
[Erich Fried]
weiße
Hände
rotes Haar
blaue Augen
weiße
Steine
rotes Blut
blaue Lippen
weiße
Knochen
roter Sand
blauer Himmel
[Erich Fried]
Ich
liege
auf dem Rücken
und mir zugleich
am Herzen
im Magen
und mit mir
selbst
in den Haaren
Ich
muß mich also
zuerst gefressen haben
mit Herz und Haaren
um jetzt im Magen
liegen zu können
Tatsächlich
fand ich
unter meinen Nachrufen
einen
in dem es
heißt:
"Er
verzehrte sich
angesichts unserer Welt:"
Daraus erhellt
daß unsere Welt
dabei war
und als Augenzeugin
die Verzehrung
bestätigen kann
Nun
wüßte ich gerne
wessen Inhalt
mein Magen jetzt ist
wenn ich
dessen Inhalt er war
jetzt sein
Inhalt bin
[Erich Fried]
Wer
denkt
daß die Feindesliebe
unpraktisch
ist
der bedenkt nicht
die praktischen
Folgen
der Folgen
des Feindeshasses
[Erich Fried]
Zu
den Menschen
vom Frieden
sprechen
und dabei an dich denken
Von der
Zukunft sprechen
und dabei an
dich denken
Vom Recht auf Leben sprechen
und dabei an dich denken
Von der Angst
um Mitmenschen
und dabei an dich denken -
ist das Heuchelei
oder ist das endlich die Wahrheit?
[Erich Fried]
Das was man sieht
sieht einen so
daß es einen zum Glück
vielleicht blind macht
für das was man sieht
Das was man liest
liest einen so
daß es einen zum Glück
vielleicht blind macht
für das was man nicht liest
Das was man hält für Glück
das rollt und das stellt
zum Unglück nicht die Frage
zu wessen
Glück es
sie nicht gestellt hat
[Erich Fried]
Ich
bin
zur Welt gekommen
und bin nun endlich
so weit
laut zu fragen
wie ich
dazukomme
zu ihr zu
kommen
Sie
kommt
und sagt leise:
Du kommst
nicht
du bist schon im Gehen
[Erich Fried]
Als
Kind wußte ich:
Jeder Schmetterling
den ich rette
jede Schnecke
und jede Spinne
und jede
Mücke
jeder Ohrwurm
und jeder Regenwurm
wird kommen und weinen
wenn ich
begraben werde
Einmal
von mir gerettet
muß keines mehr sterben
Alle werden sie kommen
zu meinem
Begräbnis
Als
ich dann groß wurde
erkannte ich:
Das ist ein Unsinn
Keines wird
kommen
ich überlebe sie alle
Jetzt
im Alter
frage ich: Wenn ich sie aber
rette bis ganz
zuletzt
kommen vielleicht doch zwei oder drei?
[Erich Fried]
nach Auschwitz
Wünscht mir Glück
zu diesem Glück
daß ich lebe
Was ist Leben
nach soviel Tod?
die Schuld der Unschuld?
die Gegenschuld
die wiegt
so schwer
wie die Schuld der Töter
wie ihre Blutschuld
die entschuldigte
die abgewälzte
Wie oft
muß ich sterben
dafür
daß ich dort
nicht gestorben bin?
[Erich Fried]
Auf dieser Straße
wo sie laut drohten
Jahre bevor sie kamen
WARTE NUR
habe ich nicht gewartet
Auf dieser Straße
droht das Vergangene lautlos
Jahre nachdem es verging
WARTE NUR
und ich warte
[Erich Fried]
Sie sagen noch immer:
"schon wieder"
Sie sagen es bis ich verwirrt bin
Schon wieder noch immer schon wieder
Sie sagen schon immer noch wieder
bis ich sage: "Schon wieder noch immer
schon immer noch wieder"
Sie wiederholen noch immer
Sie sagen es bis ich es sage
Sie wiederholen es
Sie wiederholen es bis ich schreie:
"Sie holen sie holen mich wieder"
Sie wiederholen es immer
so lang bis ich nur wiederhole:
"Sie holen mich wieder
Sie holen mich immer wieder
in ihren nie wieder
noch immer schon wieder Krieg"
Sie wiederholen es heute
und morgen und nächstens
Sie lieben die Wiederholung
Sie holen mich nächstens
in ihren nächsten
in ihren lieben
ih ihren nächstenliebenden
Krieg
[Erich Fried]
Irgendwo
lebt es noch
bis es stirbt
und atmet tief aus und ein
und liebt und spielt und sieht Farben
und arbeitet und ruht aus
und ist traurig und lustig und altert
Irgendwo
lebt es noch
bis es stirbt
Aber hier
in mir
ist soviel
Haß gegen das Sterben
gegen das Sterben
meiner Großmutter und meines Vaters
unter den Händen der Mörder
von gestern
die noch nicht tot sind
und gegen mein Sterben
und gegen
das Sterben meiner Kinder
unter den Händen der Mörder
von morgen
die heute schon leben
daß ich nur gegen dieses Sterben
kämpfe
und nur dieses Sterben
fühle und denke
und daß ich gar nicht mehr lebe
wie irgendwie noch das
was lebt
bis es stirbt
[Erich Fried]
Auch ungelebtes Leben
geht zu Ende
zwar vielleicht langsamer
wie eine Batterie
in einer Taschenlampe
die keiner benutzt
Aber das hilft nicht viel:
Wenn man
(sagen wir einmal)
diese Taschenlampe
nach so- und sovielen Jahren
anknipsen will
kommt kein Atemzug Licht mehr heraus
und wenn du sie aufmachst
findest du nur deine Knochen
und falls du Pech hast
auch diese
schon ganz zerfressen
Da hättest du
genau so gut
leuchten können
[Erich Fried]
Wenn Leute dir sagen:
"Kümmere dich nicht
soviel
um dich selbst"
dann sieh dir
die Leute an
die dir das sagen:
An ihnen kannst du erkennen
wie das ist
wenn einer
sich nicht genug
um sich selbst
gekümmert hat
[Erich Fried]
Ich verlerne
was ich gelernt habe
in der Schule
Zukunft
durch Angst
ist Vergessen
Leben
durch Angst
ist Irrsinn
Vergessen
durch Irrsinn
ist Krieg
Ich weiß noch
das heißt dann
Angst mal Irrsinn ist Leben
Ich weiß auch noch
das heißt
Angst mal Vergessen ist Zukunft
Aber ich weiß nicht
was für eine Zukunft
das ist
Und was ist Angst
mal Angst?
Und was ist dann Friede?
Wir haben als Kinder
doch rechnen gelernt
Wozu?
[Erich Fried]
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Stand: 08.11.98