Sie haben leider kein Plug-In für Hintergrundmusik installiert!

L I E B E S G E D I C H T E

Ein Punkt () vor einem Gedicht bedeutet, daß dieses Gedicht eines meiner Favoriten ist. Leider ist diese Anschauung sehr subjektiv und kann deshalb nicht auf jeden Beliebigen übertragen werden...  

Ich empfehle, die "zurück nach oben"-Links zu benutzen, da die Gedichte nicht in der Reihenfolge wie in der Tabelle angeordnet sind!!

WAS ES IST DIESE LEERE DICH OHNE DICH
MEINE WAHL WARUM TREUE WAS WEH TUT
AUFHEBUNG  HALTEN  DREI WÜNSCHE  TRENNUNG
 GRENZE DER VERZWEIFLUNG  EIN VERSUCH  AN EINE NERVENSÄGE  VIELLEICHT
NUR NICHT FRAGEN UND ANTWORTEN HERBST IN DIESER ZEIT
ERWÄGUNG AN DICH DENKEN NACHTGEDICHT WAS RUHE BRINGT
KEIN UNTERSCHLUPF ABER WIEDER EIFRIGER FROST DANN
FESTER VORSATZ UNGEWISS DAS HERZ IN WIRKLICHKEIT VERSUCH SICH ANZUPASSEN
TAGTRAUM STRAUCH MIT HERZFÖRMIGEN BLÄTTERN WINTERGARTEN

INSCHRIFT

WORTE VORÜBUNGEN FÜR EIN WUNDER NACHHALL GEDANKENFREIHEIT
EINER OHNE SCHWEFELHÖLZER ABER NOTWENDIGE FRAGEN NACHTLIED
SPÄTER GEDANKE DURCHEINANDER    

 

WAS ES IST

Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

Es ist Unglück, sagt die Berechnung.

Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst.

Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht.

Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

Es ist lächerlich, sagt der Stolz.

Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.

Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung.

Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

[Erich Fried]

zurück nach oben

DIESE LEERE

Wie leer ist es
da
wo etwas war
Wo  w a s  war?

Etwas
was nicht mehr da ist
Und ist es nicht mehr da?

Warum nicht?

und wirklich nicht?
Kann es nicht wieder da sein?

Darf es nicht wieder da sein?

Ist deshalb alles so leer?

Wie groß
muß gewesen sein

was da war
daß alles jetzt

wenn es vielleicht nicht da ist
oder vielleicht

nicht mehr da sein wird

so leer ist
daß Leere in Leere

übergeht

oder untergeht

oder ruht?

Müßte Ruhe
nicht eigentlich anders sein

als das
was leer ist

und doch

kalt ist

obwohl das Leere
nicht kalt sein kann

als das
was leer ist

und doch noch brennt

obwohl das Leere
nicht brennen kann

als das was leer ist
und doch

den Hals zuschnürt

obwohl das Leere

den Hals nicht zuschnüren kann

Was ist es also?

[Erich Fried]

zurück nach oben

DICH

Dich nicht näher denken
und dich nicht weiter denken
dich denken wo du bist
weil du dort wirklich bist
Dich nicht älter denken
und dich nicht jünger denken
nicht größer nicht kleiner
nicht hitziger und nicht kälter
Dich denken und mich nach dir sehnen
dich sehen wollen
und dich liebhaben
so wie du wirklich bist

[Erich Fried]

zurück nach oben

OHNE DICH

Nicht nichts ohne dich
aber nicht dasselbe
Nicht nichts ohne dich
aber vielleicht weniger
Nicht nichts
aber weniger und weniger
Vielleicht nicht nichts ohne dich
aber nicht mehr viel

[Erich Fried]

zurück nach oben

TAGTRAUM

Ich bin so müde
daß ich
wenn ich durstig bin
mit geschlossenen Augen
die Tasse neige
und trinke
Denn wenn ich die Augen
aufmache
ist sie nicht da
und ich bin zu müde
um zu gehen
und Tee zu kochen
Ich bin so wach
daß ich dich küsse
und streichle
und daß ich dich höre
nach jedem Schluck
zu dir spreche
Und ich bin zu wach
um die Augen zu öffnen
und dich sehen zu wollen
und zu sehen
daß du
nicht da bist

[Erich Fried]

zurück nach oben

WARUM

Nicht du
um der Liebe willen

sondern um deinetwillen
die Liebe

(und auch

um meinetwillen)

nicht
weil ich lieben

muß

sondern weil ich

dich

lieben
muß

Vielleicht
weil ich bin
wie ich bin

aber sicher

weil du

bist

wie du bist

[Erich Fried]

zurück nach oben

TREUE

Es heißt:

Ein gebrochenes Versprechen
ist ein gesprochenes
Verbrechen

Aber kann nicht
ein ungebrochenes Versprechen

ein ungesprochenes Verbrechen sein?

[Erich Fried]

zurück nach oben

WAS WEH TUT

Wenn ich dich
verliere

was tut mir dann weh?

Nicht der Kopf
nicht der Körper

nicht die Arme
und nicht die Beine

Sie sind müde
aber sie tun nicht weh

oder nicht ärger
als das eine Bein immer wehtut

Das Atmen tut nicht weh
Es ist etwas beengt

aber weniger

als von einer Erkältung

Der Rücken tut nicht weh
auch nicht der Magen
die Nieren tun nicht weh

und auch nicht das Herz

Warum
ertrage ich es
dann nicht
dich zu verlieren?

[Erich Fried]

zurück nach oben

MEINE WAHL

Gesetzt ich verliere dich
und habe dann zu entscheiden

ob ich dich noch ein Mal sehe

und ich weiß:

Das nächste Mal
bringst du mir zehnmal mehr Unglück

und zehnmal weniger Glück

Was würde ich wählen?

Ich wäre sinnlos vor Glück
dich wiederzusehen

[Erich Fried]

zurück nach oben

SPÄTER GEDANKE

Meiner Unermüdlichkeit
bin ich

auf einmal

so müde

daß mir einfällt

ob du ihrer nicht
schon lange

müde sein mußt.

[Erich Fried]

zurück nach oben

STRAUCH MIT HERZFÖRMIGEN BLÄTTERN

(Tanka nach altjapanischer Art)

Sommerregen warm:
Wenn ein schwerer Tropfen fällt
bebt das ganze Blatt.

So bebt jedes Mal mein Herz
wenn dein Name auf es fällt.

[Erich Fried]

zurück nach oben

DURCHEINANDER

Sich lieben
in einer Zeit
in der Menschen einander töten
mit immer besseren Waffen
und einander verhungern lassen

Und wissen
daß man wenig dagegen tun kann
und versuchen

nicht stumpf zu werden

Und doch
sich lieben

Sich lieben
und einander verhungern lassen

Sich lieben und wissen

daß man wenig dagegen tun kann

Sich lieben

und versuchen nicht stumpf zu werden

Sich lieben
und mit der Zeit

einander töten
Und doch sich lieben

mit immer besseren Waffen

[Erich Fried]

zurück nach oben

DANN

Wenn dein Glück
kein Glück mehr ist
dann kann deine Lust

noch Lust sein
und deine Sehnsucht ist noch
deine wirkliche Sehnsucht

Auch deine Liebe
kann noch Liebe sein

beinahe noch glückliche Liebe
und dein Verstehen

kann wachsen

Aber dann will auch
deine Traurigkeit

traurig sein
und deine Gedanken
werden mehr und mehr
deine Gedanken

Du bist dann wieder du
und fast zu sehr bei dir
Deine Würde ist deine Würde

Nur dein Glück
ist kein Glück mehr

[Erich Fried]

zurück nach oben

WAS RUHE BRINGT

Ich habe immer geglaubt
was Ruhe bringt
ist da Glück

Aber das Unglück
bringt
viel tiefere Ruhe

Ich wache
als ob ich schliefe

ohne Traum

Ich atme
als ob ich nicht wirklich

atmen müßte

Ich bin müde
als ob ich nur müde wäre

vom Schlafen

[Erich Fried]

zurück nach oben

Ich soll mich drein fügen
und nicht fragen

warum ich das soll

und ich soll nicht fragen

warum ich nicht fragen soll

[Erich Fried]

zurück nach oben

Aufhebung

Sein Unglück
ausatmen können
tief ausatmen
so daß man wieder

einatmen kann

Und vielleicht auch sein Unglück sagen können
in Worten

in wirklichen Worten

die zusammenhängen

und Sinn haben

und die man selbst noch

verstehen kann
und die vielleicht sogar
irgendwer sonst versteht

oder verstehen könnte

Und weinen können

Das wäre schon
fast wieder

Glück

[Erich Fried]

zurück nach oben

Kein Unterschlupf

Nicht sich verstecken
vor den Dingen

der Zeit
in die Liebe

Aber auch nicht
vor der Liebe

in die Dinge
der Zeit

[Erich Fried]

zurück nach oben

Wintergarten

Deinen Briefumschlag
mit den zwei gelben und roten Marken

habe ich eingepflanzt
in den Blumentopf

Ich will ihn
täglich begießen
dann wachsen mir

deine Briefe

Schöne

und traurige Briefe

und Briefe
die nach dir riechen

Ich hätte das
früher tun sollen

nicht erst
so spät
im Jahr

[Erich Fried]

zurück nach oben

Aber

Zuerst habe ich mich verliebt
in den Glanz deiner Augen
in dein Lachen

in deine Lebensfreude

Jetzt liebe ich auch dein Weinen
und deine Lebensangst

und die Hilflosigkeit
in deinen Augen

Aber gegen die Angst
will ich dir helfen

denn meine Lebensfreude
ist noch immer der Glanz deiner Augen

[Erich Fried]

zurück nach oben

Halten

Halten
dich
mich zurück - den Atem an - mich an dich
dich fest
aber nicht dir etwas vorenthalten

Halten
dich in den Armen
in Gedanken - im Traum - im Wachen

Dich hochhalten
gegen das Dunkel

des Abends - der Zeit - der Angst

Halten
dein Haar mit zwei Fingern

deine Schultern - dein Knie - deinen Fuß

Sonst nichts mehr halten
keinen Trumpf - keine Reden
keinen Stecken und Stab und keine Münze im Mund

[Erich Fried]

zurück nach oben

Drei Wünsche

Ich wollte manchmal
ich wäre so erfahren, wie ich alt bin

oder auch nur

so klug, wie ich erfahren bin

oder wenigstens
so glücklich, wie ich klug bin

aber ich glaube

ich bin zu dumm dazu

[Erich Fried]

zurück nach oben

An Dich denken

An Dich denken
und unglücklich sein?

Wieso?
Denken können

ist doch kein Unglück
und denken können an Dich:
an Dich
wie Du bist
an Dich

wie Du Dich bewegst
an Deine Stimme

an Deine Augen

an Dich

wie es Dich gibt --

wo bleibt da

für wirkliches Unglück
(wie ich es kenne

und wie es mich kennt)

noch der Raum
oder die Enge?

[Erich Fried]

zurück nach oben

Nachtgedicht

Dich bedecken
nicht mit Küssen

nur einfach
mit Deiner Decke
(die Dir

von der Schulter
geglitten ist)

daß Du
im Schlaf nicht frierst

Später
wenn Du

erwacht bist

das Fenster zumachen

und Dich umarmen
und Dich bedecken

mit Küssen

und Dich

entdecken

[Erich Fried]

zurück nach oben

Trennung

Der erste Tag war leicht
der zweite Tag war schwerer
Der dritte Tag war schwerer als der zweite

Von Tag zu Tag schwerer:
Der siebente Tag war so schwer

daß es schien er sei nicht zu ertragen

Nach diesem siebenten Tag sehne ich mich schon zurück

[Erich Fried]

zurück nach oben

Grenze der Verzweiflung

Ich habe Dich so lieb
daß ich nicht mehr weiß
ob ich Dich so lieb habe

oder ob ich mich fürchte

ob ich mich fürchte zu sehen
was ohne Dich

von meinem Leben
noch am Leben bliebe

Wozu mich noch waschen
wozu noch gesund werden wollen
wozu noch neugierig sein

wozu noch schreiben

wozu noch helfen wollen

wozu aus den Strähnen von Lügen
und Greueln noch Wahrheit ausstrählen
ohne Dich

Vielleicht doch weil es Dich gibt
und weil es noch Menschen

wie Du geben wird

und das auch ohne mich

[Erich Fried]

zurück nach oben

Aber wieder

Aber
du bist wiedergekommen

Du
bist wieder

gekommen
Du
du bist
du bist wieder

Ich bin wieder
weil du bist

Du bist gekommen

du
wieder
und immer wieder

wieder du

Du
du

du und ich

immer wieder

und wieder

[Erich Fried]

zurück nach oben

Eifriger Frost

Meine Sonne
ist scheinen gegangen

in deinem
Himmel

Mir bleibt
der Mond
den ruf ich

aus allen Wolken

Er will mich trösten
Sein Licht

sei wärmer

und heller

Nicht gelb verfärbt
daß man nur noch denkt

ans Erkalten

Sonne komm wieder!
Der Mond ist

zu hell und

zu heiß für mich!

[Erich Fried]

zurück nach oben

Fester Vorsatz

Denn wir wollen uns
nicht nur herzen
sondern auch munden

und hauten und haaren

und armen und brüsten
und bauchen
und geschlechten
und wieder handen und fußen

[Erich Fried]

zurück nach oben

Ungewiß

Aus dem Leben
bin ich

in die Gedichte gegangen

Aus den Gedichten
bin ich

ins Leben gegangen

Welcher Weg
wird am Ende

besser gewesen sein?

[Erich Fried]

zurück nach oben

Das Herz in Wirklichkeit

Das Herz
das gesagt hat

"Laß dir nicht bang sein um mich"
friert

und ist bang um die

der es das

gesagt hat

[Erich Fried]

zurück nach oben

Ein Versuch

Ich habe versucht
zu versuchen

während ich arbeiten muß

an meine Arbeit zu denken

und nicht an dich

Und ich bin glücklich d
aß der Versuch

nicht geglückt ist.

[Erich Fried]

zurück nach oben

An eine Nervensäge

Mit deinen Problemen
heißt es

bist du

eine Nervensäge

Ich liebe die Spitze
und Schneide
von jedem Zahn
dieser Säge
und ihr blankes Sägeblatt
und auch ihren runden Griff

[Erich Fried]

zurück nach oben

Vielleicht

Erinnern
das ist

vielleicht

die qualvollste Art

des Vergessens
und vielleicht
die freundlichste Art

der Linderung dieser Qual

[Erich Fried]

zurück nach oben

Nur nicht

Das Leben
wäre
vielleicht einfacher
wenn ich dich
gar nicht getroffen hätte

Weniger Trauer
jedes Mal
wenn wir uns trennen müssen
weniger Angst
vor der nächsten
und übernächsten Trennung

Und auch nicht soviel
von dieser machtlosen Sehnsucht
wenn du nicht da bist
die nur das Unmögliche will
und das sofort
im nächsten Augenblick
und die dann
weil es nicht sein kann
betroffen ist
und schwer atmet

Das Leben
wäre vielleicht
einfacher
wenn ich dich
nicht getroffen hätte
Es wäre nur nicht
mein Leben

[Erich Fried]

zurück nach oben

Fragen und Antworten

Wo sie wohnt?
Im Haus neben der Verzweiflung

Mit wem sie verwandt ist?
Mit dem Tod und der Angst

Wohin sie gehen wird
wenn sie geht?
Niemand weiß das

Von wo sie gekommen ist?
Von ganz nahe oder ganz weit

Wie lange sie bleiben wird?
Wenn du Glück hast
solange du lebst

Was sie von dir verlangt?
Nichts oder alles

Was soll das heißen?
Daß das ein und dasselbe ist

Was gibt sie dir
- oder auch mir - dafür?
Genau soviel wie sie nimmt
Sie behält nichts zurück

Hält sie dich
- oder mich - gefangen
oder gibt sie uns frei?
Es kann uns geschehen
daß sie uns Freiheit schenkt

Frei sein von ihr
ist das gut oder schlecht?
Es ist das Ärgste
was uns zustoßen kann

Was ist sie eigentlich
und wie kann man sie definieren?
Es heißt daß Gott gesagt hat
daß er sie ist

[Erich Fried]

zurück nach oben

Inschrift

Sag
in was
schneide ich
deinen Namen?

In den Himmel?
Der ist zu hoch
In die Wolken?
Die sind zu flüchtig

In den Baum
der gefällt und verbrannt wird?
Ins Wasser
das alles fortschwemmt?

In die Erde
die man zertritt
und in der nur
die Toten liegen?

Sag
in was
schneide ich
deinen Namen?

In mich
und in mich
und immer tiefer
in mich

[Erich Fried]

zurück nach oben

Worte

Wenn meinen Worten die Silben ausfallen vor Müdigkeit
und auf der Schreibmaschine die dummen Fehler beginnen
wenn ich einschlafen wil
und nicht mehr wachen zur täglichen Trauer
um das was geschieht in der Welt
und was ich nicht verhindern kann

beginnt da und dort ein Wort sich zu putzen und leise zu summen
und ein halber Gedanke kämmt sich und sucht einen anderen
der vielleicht eben noch an etwas gewürgt hat
was er nicht schlucken konnte
doch jetzt sich umsieht
und den halben Gedanken an der Hand nimmt und sagt zu ihm:
Komm

Und dann fliegen einigen von den müden Worten
und einige Tippfehler die über sich selber lachen
mit oder ohne die halben und ganzen Gedanken
aus dem Londoner Elend über Meer und Flachland und Berge
immer wieder hinüber zur selben Stelle

Und morgens wenn du die Stufen hinuntergehst durch den Garten
und stehenbleibst und aufmerksam wirst und hinsiehst
kannst du sie sitzen sehen oder auch flattern hören
ein wenig verfroren und vielleicht noch ein wenig verloren
und immer ganz dumm vor Glück daß sie wirklich bei dir sind

[Erich Fried]

zurück nach oben

Vorübungen für ein Wunder

Vor dem leeren Baugrund
mit geschlossenen Augen warten
bis das alte Haus
wieder dasteht und offen ist

Die stillstehende Uhr
so lange ansehen
bis der Sekundenzeiger
sich wieder bewegt

An dich denken
bis die Liebe
zu dir
wieder glücklich sein darf

Das Wiedersehen
von Toten
ist dann
ganz einfach

[Erich Fried]

zurück nach oben

Nachhall

Nun lebe ich
nicht mehr
nur einmal
Alles hallt nach

Mein Schritt hallt nach
das Klingeln im Telefon
jedes Wort
von dir
und von mir
das Auflegen deines Hörers
und das Auflegen meines Hörers
hallt nach

Das Nachdenken
wie ich
dich
zuerst sah
hallt nach

Das Aufsetzen
meines Stockes
der mir Halt gibt
hallt nach

Und alles
was ich
von diesem Nachhallen
sage
hallt nach
hallt nach

Nun lebe ich
nicht mehr
nur einmal

[Erich Fried]

zurück nach oben

Gedankenfreiheit

Wenn ich an deinen Mund denke
wie du mir etwas erzählst
dann denke ich
an deine Worte
und an deine Gedanken
und an den Ausdruck
deiner Augen
beim Sprechen

Aber wenn ich an deinen Mund denke
wie er an meinem Mund liegt
dann denke ich
an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Schoß
und an deine Augen

[Erich Fried]

zurück nach oben

Einer ohne Schwefelhölzer

Alles
was tut
als hätte ich es verloren
sammelt sich heimlich
und ordnet sich
ganz von selbst
zu einem Haus
mit eingerichteten Zimmern

Es riecht schon nach Brot
in der Küche
Im warmen Bett schlägst du
wirklich du
nackt die Decke zurück
und streckst mir
zum Einzug
zwei lebende Arme entgegen

[Erich Fried]

zurück nach oben

Herbst

Ich hielt ihn für ein welkes Blatt
im Aufwind
Dann auf der Hand:
ein gelber Schmetterling

Er wird nicht länger dauern
als ein Blatt
das fallen muß
in diesem großen Herbst

(und ich nicht länger
als ein gelber Falter
in deiner Liebe großer Flut
und Ebbe)

und flattert doch
und streichelt meine Hand
auf der er sich bewegt
und weiß es nicht

[Erich Fried]

zurück nach oben

Notwendige Fragen

Das Gewicht
der Angst
Die Länge und Breite
der Liebe
Die Farbe
der Sehnsucht
im Schatten
und in der Sonne

Wieviel Steine
geschluckt werden müssen
als Strafe
für Glück
und wie tief
man graben muß
bis der Acker
Milch gibt und Honig

[Erich Fried]

zurück nach oben

Nachtlied

Auf deine Brüste zwei Sterne
auf deine Augen zwei Küsse
in der Nacht
unter dem gleichgültigen Himmel

Auf deine Augen zwei Sterne
auf deine Brüste zwei Küsse
in der Nacht
unter den mundlosen Wolken

Unsere Küsse
und unsere Sterne müssen
wir selbst einander geben
unter wetterwendischen Himmeln

oder in einem Zimmer
eines Hauses das steht
vielleicht in einem Land
in dem wir uns wehren müssen

Doch in den Atempausen
dieses Sichtwehrens
Brüste und Augen für uns
Himmel und Sterne und Küsse

[Erich Fried]

zurück nach oben

In dieser Zeit

Gegen
das alles
du
als mein Gegengewicht?

Vielleicht
wenn du wirklich
bei mir wärest
um mich zu halten

um zu liegen auf mir
in der Nacht
damit dieser Sog
mich nicht fortreißt

weil auch du
immer wieder
ankämpfst
gegen das alles

Und gegen das alles
für dich
ich
als dein Gegengewicht?

Vielleicht
wenn ich wirklich
bei dir bin
um dich zu halten

[Erich Fried]

zurück nach oben

Erwägung

Ich soll das Unglück
das ich durch dich erleide
abwägen
gegen das Glück
das du mir bist

Geht das nach Tagen
und Stunden?
Mehr Wochen
der Trennung
des Kummers
des Bangseins nach dir
und um dich
als Tage des Glücks

Aber was soll das Zählen?
Ich habe dich lieb

[Erich Fried]

zurück nach oben

 

zurück zur Hauptseite des ERICH-FRIED-Centers

zu "andere Gedichte"

 

Stand: 25.12.98

Zurück zur Homepage! Eine E-Mail schreiben!